"Hair" ist sicherlich auch eines
dieser Stücke, dass schon unzählige Mal inszeniert wurde, an jedem
erdenklichen Ort. Allerdings glaube ich, dass es sich viele
Inszenierungen zu einfach mit dem Werk machen: Ein bisschen
Flowerpower, ein paar Perlenketten, Perücken und das Kriegsthema,
dass irgendwo mit erhobenem Zeigefinger daher kommt. Doch genauso
funktioniert "Hair" für mich nicht und die gestern besuchte
Inszenierung in Halberstadt vom Nordharzer Städtebundtheater hat es eindeutig geschafft, nicht in
dieses Schema X zu passen und einen durchweg positiven Eindruck zu
hinterlassen.
Das Bühnenbild bleibt eher im
Hintergrund, zwei Wohnwagen und zwei Zelte, doch durch die ständige
Bewegung auf der Bühne fällt dies kaum auf. Die Kostüme fügen
sich nahtlos in die Zeit der Handlung ein, kunterbunt, Schlaghosen,
Glitzer und mit viel Liebe zum Detail.
Regisseur Klaus Seiffert hat
interessante Ansätze in das Stück gebracht und definitiv ganz
bewusst versucht, das Musical nicht nur wie eine Art große Party
ohne Motive aufzuziehen.
Besonders der Einfall, dass Claude und
Sheila schon von Anfang bei den Hippies dabei sind, lässt die
Inszenierung heraustechen. Dies funktioniert bei Claude sehr gut,
auch wenn seine Wandlung vom Landei zum Hippie auf der Strecke
bleibt. Dafür bleibt viel mehr Zeit, dem Charakter Tiefe zu geben.
Sheilas Rolle hingegen geht so leider etwas unter.
Martin Markert als Claude nutzt die
Chance, seinem Charakter viele Facetten zu verleihen. Einerseits
spiegelt sein Claude die Rebellion und den Trotz einer ganzen
Generation wieder, andererseits sind da auch viele leise Zwischentöne
und Zweifel in ihm, genauso wie pure Angst z.B während seinem Trip. Egal
ob rockig-trotzig oder leise-zweifelnd, Martin spielt und singt sich
souverän mit kraftvoller Stimme durch alle Songs. Hervorzuheben sind
eindeutig noch die Sprechszenen, sein Claude schafft es mit
beeindruckender Bühnenpräsenz selbst in diesen kurzen Parts
unheimlich viel zu vermitteln. Es ist definitiv einer dieser
Gänsehautmomente, die "Hair" so ausmachen, wenn er sich wünscht,
unsichtbar zu sein.
Tobias Amadeus Schöner als Berger
bildet dazu das passende Gegenstück. Auch er spielt facettenreich,
besonders bleiben die Szenen in Erinnerung, die in der Gegenwart angesiedelt sind. Diese zeigen den alten Berger, der sich dort mit einer
gewissen Melancholie an Claude, die Blumenkinder und vergangene
Zeiten erinnert. Ebenso singt er sich sicher durch alle schnellen und
auch langsamen Lieder.
Die Rückblicke fügen sich in das
gesamte Stück flüssig sein, sehr schön der Einfall, dass während
der Demonstration die Schilder umgedreht werden und aktuelle Parolen
wie „Theater muss sein“ und „Weg mit Hartz IV“ zu lesen sind.
Während L.B.J wird Barack Obama im Hintergrund eingeblendet und die
Inszenierung schafft es, neu und alt stimmig zu verknüpfen.
Sheila, gespielt von Julia Siebenschuh,
bleibt jedoch das ganze Stück über etwas farblos, fügt sich aber
sehr gut in das Dreiergespann um Berger und Claude ein und punktet
auch mit ihrer Stimme.
Gespielt wird in deutscher Sprache, was
dem Stück streckenweise sogar gut tut. Die Themen in den Songs sind
verständlicher und die teilweise auch angepasste Übersetzung stört
an keiner Stelle.
Regisseur Klaus Seiffert hat es
außerdem geschafft, das Ballett sehr stimmig einzubinden. Flott
getanzte Choreografien, wie bei der Musterung, bringen viel Leben auf
die Bühne. Besonderer Höhepunkt: Die durchchoreografierten
Kampfszenen während Claudes Trip.
Durch enorme Spielfreude und ein daraus
resultierendes, sehr gut funktionierendes Zusammenspiel überzeugt
das gesamte Ensemble. So wirkt der "Tribe" auf der Bühne
authentisch. Hier ist noch Enrico Scheffler als Woof hervorzuheben,
der mit Witz und Charme viele Lacher erntete.
Das Orchester spielt sich ebenso
souverän durch das Stück, die Orchestrierung ist einfach gehalten,
aber setzt stimmige Akzente, wie bei "Wo geh
ich hin'".
Die Kriegsthematik im zweiten Akt wird
überzeugend inszeniert. Sei es der schon erwähnte Trip von Claude
oder auch das unheimlich starke Ende, das ebenso Gänsehautfaktor
hat. "Let the Sunshine in" wirkt hier viel mehr wie ein
wirklicher Appell an das Publikum: Nahezu verzweifelt singen die
verbliebenen Blumenkinder auf Claudes Beerdigung und zeigen, dass wir
selber etwas tun müssen, um die Welt zu verändern.
So bleibt am Ende nicht nur das
Flowerpower Gefühl, sondern auch die Ahnung, dass das eben gesehene
nichts von seiner Aktualität verloren hat.
Fazit: Diese Inszenierung verbindet
Spaß und Ernst, genauso wie Gegenwart und Vergangenheit, ohne albern
zu wirken oder den mahnenden Zeigefinger zu heben. Martin Markert als
Claude stellt eine Idealbesetzung mit starker Kombination aus Stimme
und Schauspiel dar, die dem Charakter Vielschichtigkeit verleiht.
Tobias Amadeus Schöner als Berger steht ihm in fast nichts nach.
Julia Siebenschuh als Sheila bleibt vielleicht auch
inszenierungsbedingt etwas blass, fügt sich aber gut ein. Das
Ensemble rundet das Gesamtbild ab. Sehenswert!
Infos rund ums Stück & weitere Aufführungstermine unter: http://www.harztheater.de/hair